Dramatischer Corona-Ausbruch in Florida "Wir werden nichts schließen" In den Südstaaten der USA steigen die Corona-Zahlen in bedrohlicher Geschwindigkeit. Doch vor allem Florida weigert sich, die Auflagen wieder zu verschärfen. Düstere Eindrücke aus dem "Sunshine State". Aus Wilton Manors, Florida, berichtet Marc Pitzke 02.07.2020, 20.38 Uhr Corona? Egal! Der Strand von Miami Beach Corona? Egal! Der Strand von Miami Beach Cristobal Herrera/ EPA-EFE/Shutterstock Dienstags ist "Taco Tuesday" im "La Mexicana". Es gibt Zwei-Dollar-Teigschalen mit Hühnchen und Schweinefleisch, dazu Margaritas, Sangria und Cerveza. Ein Dutzend Gäste lässt es sich schmecken auf der Veranda der populären Kneipe in Wilton Manors, eine Dreiviertelstunde nördlich von Miami. Die Deckenventilatoren kommen kaum an gegen die schwüle, schwere Luft, doch die Laune ist gut, man lacht, trinkt, plaudert. Im Hintergrund laufen spanische Musikvideos. Alles eben wie früher. Fast. "Hände desinfizieren", steht auf einem Schild, ein anderes bittet, einen Mundschutz zu tragen. "Braucht ihr aber nicht", flüstert die Kellnerin hinter ihrem eigenen Mundschutz. "Nur wir Angestellten sollen das." Den Sinn dieser seltsamen Zwei-Klassen-Regel kann sie freilich nicht erklären. Verstand versus Trotz: Eine Polizistin und Strandbesucher in Miami Beach Verstand versus Trotz: Eine Polizistin und Strandbesucher in Miami Beach MARCO BELLO/ REUTERS Was wiederum viel erklärt. In 37 US-Bundesstaaten steigen die Corona-Zahlen wieder, zum Teil dramatisch. Trotzdem zögern die meisten bis zum letzten Moment und oft zu lange, ihre Corona-Regeln wieder zu verschärfen. Was dazu führt, dass die USA, das reichste Land der Welt, den Kampf gegen das Virus gerade zu verlieren scheinen: 43.644 neue Fälle allein am "Taco Tuesday", dann 52.789 am Mittwoch - so viele wie nie zuvor. Die befürchtete zweite Welle rollt vor allem durch den Süden und Südwesten. Florida, Arizona, Texas, Georgia, North Carolina, Kalifornien: Seit Tagen schnellen die Infektionszahlen und die Todesraten hier wieder in die Höhe. Voller Furcht schauen die Experten aufs kommende Feiertagswochenende, wenn sich zum US-Unabhängigkeitstag Tausende auf den Partys drängen. Wieder lange Schlangen: Corona-Teststation in Miami Beach Wieder lange Schlangen: Corona-Teststation in Miami Beach CRISTOBAL HERRERA/EPA-EFE/Shutterstock In Florida ballten sich immer schon die irrsten Kontraste und Kuriositäten Amerikas. Und jetzt ballt sich hier die US-Coronakrise. Rund 160.000 Infektionen und 3550 Todesopfer zählte der "Sunshine State" bisher. Mittlerweile kommen täglich mehrere Tausend neue Fälle hinzu, mehr als in jedem anderen US-Bundesstaat. Am Donnerstag wurden dann sogar mehr als 10.000 neue Fälle registriert - so viele wie noch nie an einem Tag in dem Bundesstaat mit seinen 21 Millionen Einwohnern. Fast die Hälfte dieser Statistik findet sich an der Südostküste: Miami, Fort Lauderdale, Palm Beach, wo US-Präsident Donald Trump seinen Wohnsitz hat, das Strandschloss Mar-a-Lago. Und fast die Hälfte sind diesmal Kinder, Jugendliche und Heranwachsende, nicht Senioren wie im April. Trotzdem sperrt sich Florida dagegen, neue Corona-Vorschriften einzuführen, anders als etwa Kalifornien, Texas und Arizona. "Wir kehren nicht um, werden nichts schließen", beharrt Gouverneur Ron DeSantis. "Wir kehren nicht um": Floridas Gouverneur Ron DeSantis trotzt den dramatischen Zahlen "Wir kehren nicht um": Floridas Gouverneur Ron DeSantis trotzt den dramatischen Zahlen Lynne Sladky/ AP DeSantis steht - ohne Mundschutz - unter einem Zeltdach in Juno Beach. Eigentlich will er bei dem Auftritt in dieser Wochenmitte mit seinen Verdiensten um den Küstenschutz prahlen. Aber die Journalisten fragen ihn nach dem Coronavirus. Solche Szenen spielen sich hier fast jeden Tag ab: DeSantis arbeitet seine Routinetermine ab, redet von allem anderen, nur nicht vom Virus. Doch die Realität holt ihn stets ein. "Wir sind sehr gut aufgestellt", wiegelt er ab. Als eine Reporterin skeptisch nachfragt, wird ihr Mikrofon gekappt. DeSantis, 41, ist Trumps Mini-Me. Der Republikaner imitierte den Präsidenten im Gouverneurswahlkampf 2018 erfolgreich. Nun imitiert er auch dessen Corona-Strategie: Kopf in den Sand und durch. Hilfe für Corona-Verarmte: Kostenlose Essensausgabe in Miami Hilfe für Corona-Verarmte: Kostenlose Essensausgabe in Miami Wilfredo Lee/ AP Lange unterdrückte DeSantis die schlimmsten Statistiken. Erst seit dieser Woche lässt er überhaupt die Zahl der Krankenhauseinlieferungen veröffentlichen, eine wichtige Messlatte für den Ernstfall. Auch Rebekah Jones, die die staatliche Corona-Datenbank für Florida geschaffen hat, behauptet, die offiziellen Daten würden "manipuliert". Sie sei genötigt worden, schlechte Zahlen zu schönen und zu "verstecken", um die Lockerung der Auflagen retroaktiv zu rechtfertigen. Als sie sich geweigert habe, sei sie gefeuert worden. Jones betreibt jetzt ihre eigene Datenbank, die manche als korrekter verstehen als die amtlichen Angaben des Ministeriums. Die aktuellsten Zahlen dort für Florida: 169.447 Infektionen, 3650 Tote. Mehr zum Thema Coronakrise in Las Vegas: Wie macht man mit Maske ein Pokerface? Aus Las Vegas berichtet Ralf Neukirch Wie macht man mit Maske ein Pokerface? Corona-Welle: Trumps Ungeduld bremst die Wirtschaft aus Von Ines Zöttl, Washington Trumps Ungeduld bremst die Wirtschaft aus +++ News-Update +++: WHO: Tests an Menschen mit 17 Impfstoff-Kandidaten WHO: Tests an Menschen mit 17 Impfstoff-Kandidaten Von Anfang an war DeSantis' Corona-Strategie chaotisch. Er behauptete, keiner unter 25 könne sich anstecken. Er musste Anordnungen korrigieren, andere wurden nie veröffentlicht. Er propagierte - wie sein Vorbild Trump - das Medikament Hydroxychloroquin, von dem Florida fast eine Million Dosen aus Israel bestellte, die dann weitgehend ungenutzt verstaubten. Er hielt keine regelmäßigen Corona-Briefings ab wie andere Gouverneure. Stattdessen verhöhnte DeSantis seine Kritiker: "Keiner von diesen Leuten weiß irgendwas über Florida." Doch auch die eigenen Wähler ließen sich nicht täuschen: In einer Corona-Rangliste von 15 Gouverneuren landete DeSantis schon im April auf dem letzten Platz. Externer Inhalt Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung. DeSantis war auch einer der ersten US-Gouverneure, die Trumps Wunsch nach einer schnellen "Wiedereröffnung" der Nation erfüllten; bereits im Mai war es für Restaurants, Bars, Sportstudios, Strände und Stripklubs so weit. Damit war die Lunte gezündet für die jetzige Explosion der Corona-Zahlen. Das überrascht keinen, der erlebt hat, was sich im Frühjahr anderswo abspielte, namentlich in New York City, das 100 Tage Lockdown überstand, um das Virus kleinzukriegen. Floridas Krankenhäuser erreichen ihre Kapazitätsgrenzen, an mobilen Teststationen und Essensausgaben wachsen die Autoschlangen, manche Leute stellen sich schon nachts an. Noch etwas hat DeSantis gemein mit Trump: Er delegiert die schwerste Verantwortung nach unten. Viele Städte und Kommunen sehen sich deshalb gezwungen, auf eigene Faust ein Patchwork aus Corona-Regeln zu entwickeln, mangels Vorgaben durch die Regierung. "Notfalls mit Polizisten" So beschlossen die Bürgermeister der am schwersten betroffenen Orte, darunter Miami, Miami Beach, Fort Lauderdale und Palm Beach, die vollen Strände übers Wochenende wieder zu sperren. Als das bekannt gegeben wurde, waren im Hintergrund Protestrufe zu hören: "Sozialismus!" Auch verhängten etliche Städte wieder Abstandsregeln und Maskenzwang im Freien. Trotzdem flanierten in Miami Beach am Mittwoch viele weiter ohne Mundschutz über den Strandboulevard Ocean Drive, vor den Restaurants standen Menschentrauben. "Wir müssen stärker durchgreifen", sagte Dale Holness, der Bürgermeister des Nachbarbezirks Broward, dem SPIEGEL. "Notfalls mit Polizisten." Externer Inhalt Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung. In der Kleinstadt Milton im Nordwesten Floridas erließ Bürgermeisterin Heather Lindsay übrigens ebenfalls eine Maskenanordnung. Der Stadtrat annullierte sie prompt. "Dies ist Amerika, ein freies Land", sagte ein Einwohner vor der Abstimmung, und eine andere: "Wir sind nicht China."